Menschen sind vielschichtig. Sie haben Facetten, die je nach den Umständen verblassen oder aufleuchten. Und das ist das Spannende für den oder die (Portrait-) Fotograf*in, gleichgültig ob die Absicht mitspielt, eine bestimmte Facette zu zeigen oder im Gegenteil, zu erforschen, was sich gerade zeigen kann. Mit ein bisschen Glück geben sich Seiten zu erkennen, von denen weder das Modell noch der Mensch hinter der Kamera etwas wusste. Dieses Glück wird dadurch begünstigt, dass man sich Zeit nimmt, es nicht eilig hat, vielleicht Verschiedenes ausprobiert, aber keine fixe Vorstellung vom Ergebnis mitbringt.
Es spielt für das Modell auch noch ein weiterer Aspekt mit: Wir alle haben ein Selbstbild, eine Vorstellung über unser Aussehen. Diese ist nicht festgefügt, sondern weich und mehr oder weniger veränderlich. Über die Jahre können größere Abweichungen auftreten zwischen diesem Selbstbild und dem, was andere sehen, wenn sie einen sehen. Eine Fotoserie zeigt nun den eigenen Körper durch die Augen eines anderen Menschen. Vielen Leuten ist das zunächst unangenehm, aber mit einer wohlwollenden Einstellung sich selbst gegenüber, wird das eine interessante Sache. Selbst diejenigen, die sich (teilweise) hässlich finden, können mit ungewohntem Blick Schönheit finden. Etwas Mut ist allerdings erforderlich.
Ein Hilfsmittel, anders auf Gesichter hinzusehen, wende ich in meiner Serie „Positionierung” an. Durch Überlagerungen verschiedener Bilder wird die schnelle, automatische Einordnung des Gesehenen unterbrochen und aufmerksameres Wahrnehmen eingefordert. –
Vor einiger Zeit war die Schriftstellerin und Lyrikerin Christine Tippelreiter bei mir im Studio um sich fotografieren zu lassen. Sie brachte ihren Gedichtband „weltenflüchtig” mit, aus dem ich hier mit ihrem Einverständnis zwei Gedichte bringen möchte, die mich besonders berühren. Ich stelle zwei Fotos aus der Aufnahmeserie dazu, die ähnlich unterschiedlich sind.
Fliag
ned fuat
fliag
ned fuat
scheena Vogl
fliag
ned fuat
loß mi
ned zruck
in da Finstan
scheena Vogl
loß mi
ned in da Ködn
loß mi
ned alloan
fliag
ned fuat
scheena Vogl
fliag
ned fuat
I kau
das goa
ned sogn
i woa
in Himmi
so nochat
und
da Himmi
woa mia
so nochat
i kau
das goa
ned sogn
owa
i kaus
oiweu nu
gschbian
Gedichte: © Christine Tippelreiter
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