Impressionistische Fotografie

Subhash: La borrasca

La borrasca

In der engagierten Fotografie gelten Regeln: Richtige Belichtung ist beispielsweise gut. Schärfe ist gut. Verzeichnisfreiheit des Objektives ist gut. Wissen, was man überhaupt aufnehmen will, ist gut. Eine überlegte Bildkomposition ist gut. Zufall ist (zumeist) schlecht, mangelnde Kontrolle ist schlecht, Experimente („Herumprobieren”) sind sowieso schlecht.

Also kaufen wir entweder eine vollautomatische Kompakte, die „alles selber macht” und noch dazu richtig, oder eine dieser wunderbaren Spiegelreflexkameras mit superschnellem Autofokus und Bildstabilisator und lernen zu erahnen, wie Licht von einem Sensor verarbeitet werden wird, studieren Tiefenschärfen-Tabellen (Falsch! Profis sagen, es muss „Schärfentiefe” heißen! 1)) und geben Unmengen an Geld aus für korrigierte, lichtstarke Optiken. Und wenn wir dann so ziemlich alles verstanden haben, alle Regeln kennen und nur mehr ganz selten etwas falsch machen, dann … Dann wird die Fotografie manchem manchmal etwas langweilig. Bei Leuten mit Kompaktkamera geht’s meist noch etwas schneller.

Aber was wäre, wenn wir wieder unschuldiger an die Sache herangehen? Die Szeneprogramme ausschalten, gar den „M”-Modus verwenden? Sie wissen schon: „M”, wie „mühsam”. Aber es wird nur dann mühsam, wenn wir erst wieder die Regeln, die Gesetze, die Vorschriften, die sich in der Fotografie festgesetzt haben, befolgen wollen. Müssen wir aber gar nicht.

Los pequeños buceadoresLa vejezEl tambaleoDesprenderse de la demora

aus der Serie „Still living beings2)

Was dann passiert, das kann ich Ihnen sagen: Auf der einen Seite entstehen erstaunliche Bilder, vielleicht unscharf, verwischt oder „falsch” belichtet, neue Möglichkeiten tun sich auf, das Interesse daran wächst und wächst und die Freude, die uns das Fotografieren anfangs machte, ist plötzlich wieder da; und auf der anderen Seite werden wir höchstwahrscheinlich von so mancher und manchem in Grund und Boden kritisiert werden, wenn wir uns nicht schon vorher einen Namen als Fotograf_in gemacht haben. Kann man uns nicht Unfähigkeit vorwerfen, so doch immerhin Faulheit. Oder zumindest: Verfälschung der Wirklichkeit.

Es fehle unseren Bildern an Beachtung der Grundregeln, an Bildkomposition, an Details, an Schärfe (so als ob die Wirklichkeit immer scharf wäre), einfach an allem, was richtige Fotografie ausmache. –
Jemand hat einmal gesagt:

Great photography is about depth of feeling, not depth-of-field.

(Peter Adams3)

Natürlich ist nicht jedes Bild, das die Dogmen der Leute verletzt, die sich anscheinend auskennen, ein großartiges Bild. Diese Regeln haben schon ihren Sinn und sind nicht ganz zufällig allgemein bekannt geworden. Aber wenn wir unser Können weiter entwickeln, etwas Neues machen wollen, dann müssen wir wieder spielerischer werden. Fehler zulassen, den Zufall einladen und aus unseren Erfolgen und Misserfolgen lernen. Uns mehr um die Tiefe des Empfindens als um die Tiefe des Schärfenbereichs kümmern. Wir werden eigene Regeln entwickeln, an die wir uns vorübergehend halten, und Acht geben, dass sie unsere Entdeckerfreude nicht einengen und die weitere Erforschung behindern.

Wir geben etwas an Kontrolle ab und erhalten dafür neue Inspiration und Offenheit gegenüber dem Unbekannten, Ungewohnten, Unbewussten.

Workshop „Impressionistische & Abstrakte Fotografie”

Leider abgelaufen!


1) Beitrag des Sprachwissenschaftlers Anatol Stefanowitsch über die Konkurrenz der Bezeichnungen „Schärfentiefe” und „Tiefenschärfe” vom 4. April 2011.

2) Diese vier Bilder aus meiner Serie „Still living beings” sind als Postkartenset und als Fine Art-Print erhältlich. Die Projektbeschreibung zur Serie finden Sie hier.
3) Zitiert in dem inspirierenden eBook „The evocative image—A Photographer’s Guide to Capturing Mood“ von Andrew S. Gibson .

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6 Gedanken zu „Impressionistische Fotografie

  1. Hallo Subhash,
    Deine impressionistischen Fotographien sind beeindruckend. Sie erinnern mich aber nicht an die Impressionisten sondern – z. B. – an den Maler Mark Rothko, der sich von jeder Art Gegenständlichkeit gelöst und der Welt der „reinen“ Farben zugewandt hat. Der Unterschied zu Deinen Bilder liegt in den Strukturen, auf die Rothko zum Schluß ebenfalls verzichtet hat. Deine Bilder haben – noch? – welche. Sie verleihen ihnen Tiefe, Fülle und Dynamik.
    Solche Fotokunst entsteht erst, wenn man alles andere, was in der E-Fotographie an Wissen notwendig ist, schon beherrscht. Es geht nicht um ein „zurück“ sondern um ein „darüber hinaus“. Und zwar um ein gehöriges Stück! Das beschreibst Du ja eingangs auch. Mit „fotographischer Unschuld“ hat das m. E. wenig zu tun, viel mehr hingegen mit genau Hinschauen und dem Mut, zu neuen Ufern aufzubrechen. Dann könnte es auch sein, daß wir auf Deinen Bildern „mehr“ sehen als es zunächst den Anschein hat. Auf den meisten – schlechten – Bildern ist zu viel drauf. Weniger Sehen könnte hier mehr erkennen bedeuten, gewonnen über geduldige und gelassene versenkende Meditation. In dieser Hinsicht erinnern sie mich auch an das Spätwerk von Willi Baumeister, das ebenfalls frei von Gegenständlichkeit ist, aber dennoch im Betrachter heftige Emotionen auszulösen vermag. Baumeister wollte nichts mehr zeigen, sondern „freie“ Assoziationsprozesse beim Betrachter auslösen.
    Jürgen

    • Hallo Jürgen,
      danke für deinen Kommentar!
      Der Terminus „Impressionistische Fotografie” sollte nicht an die Gruppe von Maler_innen erinnern, die man „die Impressionisten” nennt, sondern darauf hinweisen, dass im Gegensatz zu einer konzeptionellen Herangehensweise in der Fotografie der „Eindruck”, den das Motiv in mir (und den Betrachter_innen) hinterlässt, die Arbeitsweise dominiert. Ich habe ihn nicht erfunden, sondern festgestellt, dass ihn Fotograf_innen verwenden, die ähnlich zu arbeiten scheinen.

  2. Du sprichst mir aus der Seele, danke!
    Eigentlich bin ich derzeit auf Recherche, genau für so einen Artikel. Nun, jetzt hast Du schon alles gesagt. Besser hätte ich es auch nicht in Worte fassen können.
    Jetzt kann ich mir den Artikel fast sparen.

    • Ach, ich glaube, wenn du von deinen eigenen Bildern ausgehend dich hinsetzt und beschreibst, was bei ihrer Entstehung geschieht und dich inspiriert, dann wirst du noch viel dazu zu sagen haben. Jedenfalls würde mich dein Artikel interessieren!

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