Spielraum zurück erobern

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Klaus Petsch: Ohne Titel

Klaus Petsch: Ohne Titel

Es gibt Tage, da empfindet man die einfache Tatsache des Sehens wie ein wahres Glück.

(Robert Doisneau) 1)

Das Sehen ist sicher eines der entscheidenden Dinge, ein Bild hervorzubringen. Vorher ist das Sehen-Lernen wichtig.

Ein Fotograf sagte einmal zu mir:

Knipsen kannst du schnell lernen. Fotografieren zu lernen, dauert ein wenig länger. Am längsten wird es dauern, sehen zu lernen.

Bewusst habe ich von einem „Bild” geschrieben, nicht von einer Fotografie. Denn das, was in meinen Augen das Abstrakte in der Fotografie ausmacht, ist, dass wir das Abbild, also die dokumentarische Fotografie verlassen und zum Bild kommen.
Abstrakte Bilder mit Mitteln der Fotografie zu schaffen, ist ja nichts wirklich Neues. Bereits 1916 wurde der Begriff der „Abstrakten Fotografie” von Alvin Langdon Coburn eingeführt. 2) 3) Bis heute haben sich mit diesem Thema zahlreiche Künstler beschäftigt – was ich hier nicht weiter vertiefen möchte.

Michael Koehler schreibt:

Abstrakte Fotografie besitzt eine ungebrochene Tradition. Seit 1917 hat es zu jeder Zeit Künstler gegeben, die sie praktizierten. Wenn sich heute Künstler mit der Idee des ungegenständlichen Licht-Bilds auseinandersetzen, ist das nichts prinzipiell Neues. Eher der Versuch, den kreativen Spielraum zurückzuerobern, den Fotokunst zu Zeiten des »Neuen Sehens« Anfang der 20er besaß. 4)

Es waren nicht immer Fotografen, sondern auch (und insbesondere) die sogenannten „bildenden Künstler”, die sich des Themas angenommen haben. Warum schreibe ich das? – Noch immer wird zwischen Kunst und Fotokunst unterschieden, eine Teilung, die für mich nicht nachvollziehbar ist. „Fotokunst” wird damit eher als Kunst zweiten Grades eingeordnet, dabei sind nur die Arbeitsmittel verschieden. Ähnlich äußern sich Thomas Ruff und Andreas Gursky in einem Interview mit dem Spiegel. 5)
Warum beschäftige nicht nur ich mich inzwischen mit diesem Thema – nur aus Langeweile mit der „herkömmlichen” Fotografie? Sicher nicht, denn für mich ist sie immer noch die Grundlage für die Entstehung meiner Bilder.

Das Foto ist das perfekteste Bild; es ändert sich nicht, es ist absolut, also unabhängig, unbedingt, ohne Stil. Es ist mir deshalb in der Weise, wie es berichtet und was es berichtet, Vorbild.

Dies hat Gerhard Richter im Jahre 1964 in einem Interview gesagt, und es widerspricht für mich nicht meiner Annäherung an abstrakte Bilder. 6) Man wird mir entgegenhalten, dass ja die fotografischen Rohdaten nahezu beliebig verändert werden können, also das Bild nichts Absolutes hat. Und doch ist es absolut, wie Richter meint, die Grundlage bleibt, ist Vorbild und ist damit trotz möglicher Manipulationen letztlich nicht änderbar.
Dies ist der entscheidende Unterschied zur Malerei. Hier entsteht das Bild während des Schaffensprozesses, es (ver)ändert sich laufend, es durchläuft damit einen völlig anderen Prozess als eine Fotografie, auch wenn sie nach der Aufnahme bearbeitet wird.

… gilt es heute, eine ästhetische Zone der Unbestimmbarkeit in der Fotografie zu denken und zu besetzen, in der Intention und Technologie, Figuration und Monochromie, Bildinformation und Rauschen ineinanderfallen können. 7)

Ist das also die Intention, die mich dazu treibt, mich mit abstrakter Fotografie zu beschäftigen? – Teilweise vielleicht ja, was eine gewisse Unbestimmbarkeit, auch der Figuration beinhaltet. Die Nutzung der Technologie hilft mir einfach dabei, meine Unfähigkeit mich mit den Mitteln der Malerei auszudrücken zu überwinden.

Fotografiert habe ich schon seit meiner frühen Jugend, auch die Beschäftigung mit Kunst (und auch der abstrakten Kunst) kam früh dazu. Die Bekanntschaft mit zahlreichen Künstlern hat sicher das „Sehen” geschärft und mich dazu verleitet, das Gesehene nach und nach mit meinen Mitteln wiederzugeben.
Zunächst war es die Suche nach Details, nach Besonderheiten, Strukturen vielleicht. Ein Wochenthema bei oly-e.de, das ich 2008 stellen durfte, hieß „Abstrakt – mit der Kamera gemalt”. 8) Die Bilder zeigten damals noch eine recht vorsichtige Annäherung an das Thema der Abstraktion – mehr grafisch und vielleicht noch ohne den Mut, gewohnte Wege zu verlassen. Inzwischen sind wir da denke ich um einiges weiter gekommen. Das Werkzeug ist geblieben, wir haben dazugelernt, Freiheiten zu nutzen, die uns das Medium der Fotografie ermöglicht – während und nach der Aufnahme.
Grenzen werden überschritten, auch gültige Regeln der Fotografie werden verletzt, Unschärfe durch Bewegung der Kamera und des Objekts, Belichtungsparameter werden verändert und vieles mehr wird durchaus auch durch Experimente erforscht.
Der von mir sehr geschätzte Künstler Wolfgang Tilllmans geht noch einen Schritt weiter. Er hat inzwischen die Kamera beiseite gelegt und arbeitet direkt in der Dunkelkammer mit Fotopapieren. Lichtmischungen und Chemikalien ergeben das Bild.

Tillmans schreibt:

… Ob dies mit oder ohne Kamera geschieht, ist für mich letztlich nicht relevant, weil alle meine Werke einem Gefühl von Neugierde, Recherche und Experimentieren entspringen.
… Mir ist aufgefallen, dass jedes Mal, wenn das Werk abstrakt ist, automatisch der Begriff „Experimentieren“ auftaucht. Doch für mich ist jede Porträtsitzung und jede Stadtlandschaft ein genauso großes Experiment. 9)

Ist dieses Verfahren noch als Fotografie zu werten? –
Ja. Aus dem griechischen Ursprung φωτός γράφειν, (mit) Licht zeichnen, ergibt sich dies.
Zu den abstrakten Bildern in meiner Online-Galerie habe ich folgendes geschrieben:

abstrakte bilder.
versuche, die grenzen der gewohnten fotografie zu überschreiten.
das werkzeug ist gleichgeblieben – kamera, objektiv und heute auch der computer.
die umsetzung jedoch weigert sich die realität dokumentarisch abzubilden.
oder doch?
farben, muster, bewegungen, ein flüchtiger eindruck sind ebenso wirklichkeit. die gedanken im kopf hinter der kamera lassen das gewohnte abbild jedoch zum bild werden. 10)

Klaus Petsch, Jahrgang 1952 und immer noch ein wenig neugierig.
www.klauspetsch.net


1) Robert Doisneau www.robert-doisneau.com/fr/ 
2) de.wikipedia.org/wiki/Alvin_Langdon_Coburn 
3) de.wikipedia.org/wiki/Abstrakte_Fotografie 
4) Das ungegenständliche Lichtbild gestern und heute Ikon-Magazin 1-2004, www.ikon-magazin.de/specials/abstraktion/content/menu.htm 
5) Spiegel-Gespräch „Das mit der Wahrheit ist Quatsch”, Der Spiegel 11/12.03.12, S. 142ff 
6) Notizen 1964–1965, Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007. Schriften, Interviews, Briefe. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2008, S. 30 
7) www.textezurkunst.de/editionen/flight-astro-ii-2010/
Texte zur Kunst Editionen Heft Nr. 77, „Malerei”
Texte zur Kunst Verlag GmbH & Co. KG Berlin 
8) wochenthema.oly-e.de/index.php?path=2008%2F2008-39%2B40%20Abstrakt
%20-%20mit%20der%20Kamera%20gemalt%20-%20Thema%20Klaus%20Petsch

9) Wolfgang Tillmans Abstract Pictures Hatje Cantz, Ostfildern 2011
10) www.gallery.klauspetsch.net/main.php?g2_itemId=23410

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