Für eine Philosophie der Fotografie

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Subhash: „Stele #1360”

„Stele #1360”

Der Medientheoretiker und Kulturphilosoph Vilém Flusser († 1991) betrachtete die Fotografie als sehr klares Beispiel für den soeben stattfindenden Kulturwandel durch die Erzeugung und Verwendung von Apparaten. In seinem 1983 erstmals erschienenen Büchlein „Für eine Philosophie der Fotografie” beginnt er diese Kulturkrise zu untersuchen und versucht die neu entstehende Daseinsform zu erahnen.

Bilder sind keine eindeutigen Symbolkomplexe wie etwa Zahlen, sondern bieten Raum für Interpretationen. Durch den über die Bildfläche schweifenden Blick wird Zeit als ewige Wiederkehr des Gleichen und der Raum als Raum wechselseitiger Bedeutung rekonstruiert. Flusser meint, dass sich in Bildern nicht historische Linearität mit Ursache und Folge, sondern eine magischen Welt zeige, in der sich alles bedeutungsvoll miteinander verbunden wiederhole.
Das von Apparaten erzeugte technische Bild scheint seine Bedeutung offensichtlich auf der Oberfläche zu tragen und nicht erst entziffert werden zu müssen. Betrachter*innen trauen ihm wie ihren eigenen Augen. Diese unkritische Betrachtungsweise des technischen Bildes wie beispielsweise der Fotografie ist gefährlich, weil die vorgebliche Objektivität der technischen Bilder Täuschung ist. Eine Diagnose, der ich zustimme, und ein Problem, vor dem ich schon länger warne, und das ich mir und meinem Publikum durch nicht-referenzielle Fotografie bewusst zu machen versuche.

In der Fotogeste tut der Apparat, was der Fotograf will, und der Fotograf muss wollen, was der Apparat kann.

[…]

Kameras werden von Leuten gekauft, die für diesen Kauf von den Werbeapparaten programmiert wurden.

(Vilém Flusser:
„Für eine Philosophie der Fotografie”)

Flusser stellt fest, dass es nicht um das bekannte Problem der Entfremdung gehe, sondern um das Ende des historisch-linearen Zeitalters (bestimmt durch lineare Schrift) und eine existenzielle Umwälzung, für die wir kein Beispiel haben: Wieder einmal geht es um die Frage der Freiheit in einem neuen Kontext. Und er glaubt, dass Freiheit im Zeitalter der Apparate bedeute, gegen die Apparate zu spielen. Das würden unter den Fotograf*innen ausschließlich die so genannten experimentellen erkennen, die bewusst bemüht sind, unvorhergesehene Informationen zu erzeugen und damit etwas hervorbringen, das nicht im Programm des Fotoapparates steht.
In der Praxis der Fotografie zeigt sich ein Modell für Freiheit im nachindustriellen Zusammenhang. Eine Philosophie der Fotografie muss daran arbeiten in einer vom Apparaten beherrschten Welt Raum für Freiheit und damit Sinngebung zu öffnen.


Dank an Moreau, der mich durch ein Zitat im brennstoff, dessen Chefredakteur er ist, auf Vilém Flusser aufmerksam machte, und an den Evoi-Verlag, der mir das Buch besorgte.

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2 thoughts on “Für eine Philosophie der Fotografie

  1. Diese Diskussion ist höchst interessant und mit jeder neuen Technik (mit jedem neuen Apparat), die immer “realistischere” Bilder erzeugt, wird die vorgegaukelte Objektivität der Fotografie immer schwerer zu erkennen. Aber eine Objektivität in der Fotografie gibt es nicht und wird es nie geben, weil ein Bild immer nur einen Ausschnitt der Realität darstellt.
    So gesehen müsste der Fotograf wirklich eindeutig abstrakte Bilder schaffen, damit diese Objektivität dem Betrachter nicht vorgegaukelt wird.
    Es stellt sich wirklich die Frage, was ist Fotografie?

    • Vilém Flusser definiert Fotografie am Schluss des erwähnten Buches folgendermaßen:

      Sie ist ein programmgemäß von Apparaten erzeugtes und distribuiertes Bild, dessen angebliche Funktion es ist, zu informieren.

      Und erweitert:

      Sie ist ein automatisch von programmierten Apparaten im Verlauf eines auf Zufall beruhenden Spiels notwendiger Weise erzeugtes und distribuiertes Bild eines magischen Sachverhalts, dessen Symbole ihre Empfänger für ein unwahrscheinliches Verhalten informieren.

      Wobei er sich da auf eine nicht-reduntante Fotografie bezieht, also nicht auf „Knipserei”.

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