< Zurück Letztes Update: 15.9.2003, 12:03
 
Ihre Meinung ist nicht unwichtig
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Wahrscheinlich ebenso wie die Richterin und die Richter, die meinen Sohn Samuel verurteilt haben, war auch ich bei der Opernball-Demonstration im Jahr 2001 nicht persönlich anwesend. Genauso wenig wie sie weiß daher auch ich aus eigener Anschauung, was dort geschah oder nicht geschah. Natürlich habe ich mich im nachhinein ausführlich mit dem Thema beschäftigt und außerdem an der Opernball-Demonstration 2003 selbst teilgenommen um mir ein möglichst realistisches Bild machen zu können.
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Ich kenne Samuel als engagierten, dabei aber besonnenen, zurückhaltenden und freundlichen Menschen und habe ihn auch in Stresssituationen bei der Opernball-Demonstration 2003 nicht anders erlebt. Dieser Eindruck wurde mir gegenüber und auch vor Gericht von mehreren Zeugen bestätigt. Wenn also der "Kriminalbeamte 3" aussagt, dass Samuel "wie ein Hooligan" einen Polizisten aus vollem Lauf heraus mit dem Fuß getreten haben soll, dann halte ich das für sehr unwahrscheinlich. Wenn Samuel dann beteuert, dass das nicht der Wahrheit entspricht, dann glaube ich ihm. Noch dazu weiß ich (im Gegensatz zum "Kriminalbeamten 2"), dass Samuel ist und nicht mit dem rechten Fuß treten würde, wie der "Kriminalbeamte 2" ausgesagt hat. (Das ist eine der Tatsachen, die von beiden Gerichten ignoriert wurden.)
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Trotz meiner Überzeugung von Samuels Unschuld war mir immer bewusst, dass diese Überzeugung nicht bewiesen ist. Eigentlich sollte das ja auch gar nicht nötig sein, da ja der Kläger die Schuld des Angeklagten beweisen muss, nicht umgekehrt. Ich habe den Prozess jedenfalls als jemand verfolgt, der nicht weiß, was wirklich geschah. Bereits nach der allerersten Verhandlung hätte ich einen Freispruch erwartet, da offensichtlich war, dass die Angaben der drei Kriminalbeamten nicht übereinstimmen und Samuel jedenfalls kaum der Täter sein kann, wenn der behauptete Vorfall überhaupt stattgefunden hat. Zu meinem Erstaunen störte dieser Umstand weder den ständig abwesend wirkenden Staatsanwalt, noch die Richterin. Diese war vielmehr auf gar nicht unauffällige Weise bemüht, die Widersprüchlichkeiten in den Polizeiaussagen zu glätten und Samuels Glaubwürdigkeit z. B. durch mehrmals wiederholtes Erfragen bereits gegebener Informationen zu erschüttern. Obwohl die Anschuldigungen immer unhaltbarer erschienen, erfolgte dann nach drei Verhandlungen das (PDF-File, 656 KB), das der Vorsitzende des Berufungsverfahrens, der umstrittene Richter Ernest Maurer, in seiner mündlichen Urteilsbegründung als "angemessen" einstufte: Haft für 5 Monate bedingt auf 3 Jahre. Interessant wie kostbar ein aufgeschürftes und geprelltes Knie eines Polizisten ist! Jede noch so kleine Verletzung eines Polizeibeamten im Dienst gilt übrigens als "schwere Körperverletzung". Das Leben von Markus Omofuma war dagegen anscheinend von eher vernachlässigbarem Wert: 8 Monate bedingt war die Strafe für seine Tötung durch Polizisten. Das ist es, was vier österreichische RichterInnen und zwei Staatsanwälte für angemessen halten. (Anmerkung: Die Berufung wurde vor einem Richtersenat von 3 Richtern verhandelt.) Ich halte die Relation der Urteile im Fall Omofuma und im Fall meines Sohnes für skandalös.
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Es ist mir schon klar, dass auch Sie als Leser höchstwahrscheinlich die Wahrheit nicht kennen (außer Sie wären es gewesen, der den Verletzten tatsächlich getreten hat). Stellen Sie sich aber bitte einmal probehalber vor, dass Samuel unschuldig ist. Stellen Sie sich vor, wie der Prozess im Lichte dieser Annahme wirkt. Sie werden sehen, dass vieles dadurch erklärbar und verständlich wird:
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Ein Mensch, der sein verfassungsmäßig garantiertes Recht auf Versammlung und Meinungsäußerung wahrnimmt, mutig, aber friedlich seine Ansicht demonstriert, sieht während einer verharmlosend so genannten "Räumungsaktion" von Polizisten (was in Wirklichkeit auf ein brutales Verprügeln von Menschen hinausläuft, wovon man sich durch das Ansehen der ja immerhin vorhandenen Fotos und Videobänder, durch das Studium der Berichte oder bei nächster Gelegenheit an Ort und Stelle selbst überzeugen kann) wie zwei seiner Bekannten von Polizeibeamten niedergeschlagen beziehungsweise umgerannt werden. Er eilt ihnen instinktiv zu Hilfe, wird selbst ebenfalls geschlagen, an den Haaren gerissen und wüst beschimpft. In der Folge wird er von drei einander widersprechenden Polizisten beschuldigt, seinerseits Gewalt angewendet zu haben, einem lächerlichen Verfahren unterzogen, das ihm tausende Euros kostet und dann tatsächlich zweimal schuldig gesprochen. Eine Menge Energie, Zeit, Nerven und Geld wurde ihm genommen ohne dass er etwas getan hätte, was ihm nicht ausdrücklich in der österreichischen Verfassung erlaubt wäre. Was hat das für einen Sinn, wie kann so etwas geschehen, könnte man als naiver Staatsbürger fragen.
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Nun, der Sinn ist offensichtlich:
Es soll anscheinend ganz bewusst vermittelt werden, dass so etwas jedem geschehen kann, der seine oppositionelle Meinung allzu deutlich kundtut und zwar unabhängig davon, ob er oder sie wirklich eine Straftat begangen hat oder nicht. Der Verdacht liegt nahe, dass sowohl von der Polizei als auch vom Gericht in Kauf genommen wird, Unschuldige zu bestrafen, wenn es nicht sogar begrüßt wird. Bevor noch Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse auf zu viel Verständnis oder gar Beteiligung der Bevölkerung stößt, wird versucht ihn einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Dieser Versuch wäre natürlich noch effektiver, wenn man Unschuldige verurteilt. Das könnte der Sinn solcher unglaublicher, aber nichtsdestotrotz häufiger Verfahren sein. Bei aller verständlicher Wut über diese Ungerechtigkeiten sollten wir aber einen erfreulichen Hinweis nicht übersehen: Widerstand ist nicht zwecklos, Ihre Meinung ist nicht unwichtig, die Mächtigen können nicht einfach tun, was Ihnen passt! Oder haben Sie eine andere Erklärung für solche Vorkommnisse, wie die hier beschriebenen? Es ist den Herrschenden nicht gleichgültig, was Sie denken, Sie könnten ja auch danach handeln! Es ist Ihnen wichtig, dass oppositionelle Bewegungen gespalten, dezimiert und kriminalisiert werden! Sich zu engagieren kann also anscheinend doch etwas bewirken, sonst würde niemand versuchen, es zu verhindern. Auch Sie haben Macht! Treten Sie für Ihre Meinung ein, finden Sie Gleichgesinnte und bieten Sie gemeinsam denen die Stirn, die heute noch so übermächtig erscheinen! Das ist die gute Nachricht, die unter all den schlechten fast untergeht. Übersehen wir sie nicht und ziehen wir unsere Schlüsse daraus!
 
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