Schnipsel: Kein Abklatsch

„Den größten Teil meines Lebens hatte ich damit zugebracht, mich mit den täglichen Menschensorgen herumzuschlagen. Nun, da ich fast nichts mehr besaß, durfte ich in Frieden auf der Bank sitzen und den Sternen zusehen, wie sie auf dem schwarzen Firmament tanzten ...

... Ich begriff, dass alles, was ich bis dahin gedacht und getan hatte, oder fast alles, nur ein Abklatsch gewesen war. Andere Menschen hatten mir vorgedacht und vorgetan ...

... Die Stunden auf der Bank vor der Hütte waren Wirklichkeit, eine Erfahrung, die ich persönlich machte, und doch nicht vollkommen. Fast immer waren die Gedanken schneller als die Augen und verfälschten das wahre Bild. Nach dem Erwachen, wenn der Geist noch gelähmt ist, sehe ich manchmal Dinge, ehe ich sie einordnen und wiedererkennen kann. Der Eindruck ist beängstigend und drohend ...

... Seit meiner Kindheit hatte ich es verlernt, die Dinge mit eigenen Augen zu sehen, und ich hatte vergessen, dass die Welt einmal jung, unberührt und sehr schön und schrecklich gewesen war.”

(Marlen Haushofer in „Die Wand”, dtv, Seite 192f.)

Subhash am 1. Jänner 2000 um 11:03